Haushaltsrede von Dana Rotter zum Doppelhaushalt 2019/2020
Sehr geehrter Oberbürgermeister, sehr geehrter Ratsvorsitzender, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Bürger,
Wir begrüßen in diesem Haushalt 2019/2020 vor allem, dass Gelder für das beschlossene Jugendparlament bereitgestellt werden. Dies ist ein wichtiger Schritt zur Förderung und Stärkung von Demokratie und bedeutet mehr politische Teilhabe von Jugendlichen in unserer Stadt. Unserer Ansicht nach müsste es zwar noch ein Studierendenbeirat geben, damit auch dieser große Bevölkerungsteil bei politischen Entscheidungen mit vertreten ist, aber ein Schritt nach dem anderen.
Darüber hinaus sehen wir die geplanten Investitionen in die Göttinger Schulen positiv. Es kann nicht sein, dass sich Fenster nicht mehr öffnen und schließen lassen, Heizungen im Winter ausfallen oder keine Räume für Unterricht und Verpflegung zur Verfügung stehen. Es wird höchste Zeit, dass sich die Stadt um marode und zu kleine Schulgebäude kümmert. Die geplanten Maßnahmen sind ein wichtiger Beitrag um Grundlagen für die Haushaltziele bezüglich Chancengleichheit und Inklusion in Schulen zu schaffen. Hier gibt es aber noch jede Menge zu tun. Wir gehen davon aus, dass die Maßnahmen nach Plan umgesetzt werden. Die öffentlichen Debatten darum, welche Schule nun zuerst saniert wird, halten wir hierbei für wenig zielführend.
Kritisieren müssen wir aber Teile des Kulturhaushalts. Leider wurde unser Antrag auf Unterstützung der Zwangsarbeiterausstellung mehrheitlich abgelehnt. Uns ist sehr wohl bewusst, dass die Stadt Göttingen bei der Erstellung der Ausstellung die verantwortliche Geschichtswerkstatt mit Fördermitteln ausgestattet hat. Aber auch wenn es eine Ausstellung des Landkreises Göttingen ist, sehen wir unsere Stadt dennoch in der Verantwortung die Zwangsarbeiterausstellung auch darüber hinaus finanziell zu unterstützen. Denn zwischen 1939 und 1945 nutzten auch Göttinger Betriebe und Firmen, die Universität, viele Privathaushalte, Theater, Schulen und auch städtische Betriebe die Arbeitskraft der Zwangsarbeiter. Zu sagen, die Ausstellung und damit die langfristige Erinnerungskultur sei nur Aufgabe des Landkreises ist aus unserer Sicht ein Affront gegen die nach neusten Schätzungen ca. 5000 betroffenen Zwangsarbeiter und deren Nachkommen in Südniedersachsen. Auch die Stadt Göttingen ist unserer Meinung nach in der Pflicht sich an der Erinnerungskultur langfristig zu beteiligen, gerade auch hinsichtlich eines verstärkten Rechtsrucks innerhalb der Gesellschaft.
Auch sehen wir die knappe Verdopplung der Fördermittel für das NDR 2 Soundcheck Festival kritisch. Statt den bisher schon zu hohen 160.000 Euro will die Stadt in 2019 und 2020 jeweils 300.000 Euro für das Festival ausgeben. Grund ist der Umzug vom Albaniplatz und der Stadthalle auf den Schützenplatz. Ohne mit der Wimper zu zucken werden für drei Tage 300.000 Euro ausgegeben. Wenn es aber darum geht 75.000 Euro Anschubfinanzierung für ein ‚Kulturzentrum Tangente‘ auszugeben, dass das ganze Jahr über kulturelle Arbeit für unsere Stadt leisten würde, weigern sich SPD, CDU, Grüne und FDP Geld bereit zu stellen. Und erkennen gar nicht, dass der Wegfall der Tangente als Spielstätte eine nicht zu schließende Lücke in die Göttinger Kulturlandschaft reißt. Nachwuchsbands haben zukünftig nun kaum bis gar keine Chance mehr irgendwo erste Auftrittserfahrungen zu sammeln, innerhalb des Walls gibt es dann keine Lokalität mehr für 200 bis 400 Besucher und unsere Innenstadt verarmt kulturell immer mehr. Wie Bea Roth vom Exil im GT so passend sagte: „Wir schauen unserer Stadt beim Sterben zu“. Die genannten Parteien haben dazu einen großen Beitrag geleistet, indem sie die Tangente nicht wiederbeleben wollen und damit auch den Wunsch vieler Göttinger einfach ignorieren. Immerhin haben innerhalb von zwei Wochen die online-Petition „Tangente als Kulturzentrum erhalten“ unterzeichnet. Beim Lesen der über 500 Kommentare wird deutlich, welche Bedeutung die Tangente für die Göttinger und auch für deren Verständnis einer kulturell lebendigen Stadt hat.
Positiv anzumerken ist, dass in den Leitsätzen festgelegt wird, dass das Städtische Museum an seinem jetzigen Standort im Ritterplan weiter entwickelt und ein Generalplan zur Sanierung erstellt werden soll. Wir sind als Ratsgruppe absolut dafür, dass das Städtische Museum in seinen jetzigen Räumlichkeiten am besten aufgehoben ist und sind gegen jegliche Spekulationen wo es stattdessen hin umziehen könnte. Und wer weiß, vielleicht klappt es ja bei dieser Sanierung besser als bei der Stadthalle den vorher festgelegten Plan auch einzuhalten…
Deren „überraschenden“ Mehrkosten werfen aus unserer Sicht durchaus einen Schatten auf die Haushaltsdebatten. Wenn auch die Investitionsfähigkeit der Stadt dadurch nicht gefährdet sein soll, so ist es doch erstaunlich, wie kreativ man wird, wenn eine Sache gewollt ist. „Contracting“ heißt hier das Zauberwort – Wir verstehen bis heute nicht, warum ein möglicher Neubau der Stadthalle nicht einmal geprüft wurde. Bei einer weiteren Verfolgung der Sanierungspläne bedarf es nun dringend einem Baukostencontrolling, damit solche explosiven Kostensteigerungen nicht noch einmal vorkommen.
Für öffentliche Aufregung sorgte aber nicht nur die explodierten Sanierungskosten der Stadthalle, sondern auch vor einigen Wochen der geplante Neubau von Wohnungsmodulen für Geflüchtete am Schützenanger für 6 Millionen Euro. Dieser Ausgabe haben auch wir als Ratsgruppe zugestimmt. Denn der Rat hat beschlossen, dass die Siekhöhe zum 30.06.19 geschlossen werden soll. Die dort untergebrachten Geflüchteten müssen dann aber auch weiter ein Dach überm Kopf haben. Da die Stadt leider das IWF-Gebäude nicht weiter als Unterkunft nutzen wollte, obwohl dort einzelne Wohneinheiten und ein gemeinschaftliches Miteinander mit den Nachbarn stattgefunden hat, und städtische Gebäude, wie das Fridtjof-Nansen-Haus lieber verkauft hat, anstatt in dem angrenzenden Wohnheim Geflüchtete unterzubringen, müssen diese Entscheidungen nun irgendwie ausgeglichen werden, wenn es bei der Schließung der Siekhöhe zum geplanten Datum bleiben soll. Wir stehen nun unter Zeitdruck – was durch bessere Entscheidungen in der Vergangenheit hätte vermieden werden können.
Wir hoffen nun, dass der Verzicht des IWF als Unterbringungen zugunsten für einen Investor nun wenigstens den dringend benötigten bezahlbaren Wohnraum bringt.
Immerhin schreibt die Stadt in ihren Haushaltszielen, dass bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden muss. Dies begrüßen wir ausdrücklich. Die Ziele dürfen aber nicht nur Worthülsen bleiben sondern müssen sich auch in der konkreten Finanzplanung wiederspiegeln. Dies gilt auch für einige andere Sätze unter diesem Punkt. So heißt es: „Der soziale und bezahlbare Wohnungsbau entsteht verteilt auf das gesamte Stadtgebiet und nicht konzentriert in einzelnen homogenen Stadtquartieren.“ Eine schöne Forderung von der wir uns wünschen, dass sie in Zukunft tatsächlich schwerpunktmäßig verfolgt wird. Bislang hatten wir eher den Eindruck, dass von sozialer Durchmischung immer gerne in Grone geredet wird, Homogenität im Osterviertel aber als erhaltens- und erstrebenswert gilt. Auch diesen Satz begrüßen wir: „Die Nutzung von bestehenden Wohnraum und Baugrund hat hohe Priorität. Die Stadt Göttingen setzt sich für die Verhinderung von Leerstand ein.“ Sollte etwas gelernt worden sein, aus vergangenen Desastern, gar aus der Debatte um das ehemalige IWF? Wir würden uns das wünschen und hoffen, dass diese keine leeren Worte bleiben.
Wir lehnen den Haushalt aus diesen Gründen ab.