Rede von Till Hampe (Volt) zu Top 12 Antrag der SPD-Ratsfraktion „Feste Sitze in allen Ausschüssen für so viele Fraktionen wie möglich“

Sehr geehrte Mitglieder des Rates, werte Oberbürgermeisterin und alle Menschen, die in Göttingen leben,

Ich habe hier im November eine Rede gehalten, die ein Appell war, sich zum Hare-Niemeyer Verfahren und damit zum abgebildeten Parteienpluralismus zu beken-nen. Es ging um einen Antrag, der in Göttingen das neue D’Hondt-Verfahren, wel-ches bei der Vergabe von Stimmrechten größere Gruppen bevorzugt, durch das bisherige Hare-Niemeyer-Verfahren ersetzt hätte. Damals dachte ich daran, die Rede mit einem Zitat von Willy Brandt zu beenden: „Vielfalt statt Einfalt ist ein Kennzeichen der Demokratie.“

Ich hatte mich dagegen entschieden, um die Mitglieder der SPD-Fraktion nicht mit den Worten ihres eignen Altkanzlers zu kränken, obwohl im Vorfeld bereits klar war, dass die SPD dem Vorbild ihrer Landtagsfraktion folgen und sich für – Verzei-hung, ich habe die SPD-Formulierung vergessen – nicht gegen das D’Hondt-Verfah-ren entscheiden würde. Mit den Grünen haben wir in den vergangenen Wochen ei-nen Weg verfolgt, der eben diese Ungerechtigkeit ausgleichen soll. Die Grünen und die PARTEIundVolt-Ratsgruppe haben sich zusammengesetzt und die gemein-same Ratsgruppe gebildet, von der ihr alle am Anfang dieser Sitzung erfahren konntet.

Neben vielen gemeinsamen Inhalten und Zielen unserer Fraktionen, die wir zusam-men angehen können, gibt es einen weiteren Vorteil. Durch diesen Zusammen-schluss gibt es unter dem D’Hondt-Verfahren jeweils einen weiteren Sitz mit

Stimmrecht pro Ausschuss für unsere neue Gruppe, von denen Helena von Die PARTEI und ich jeweils zwei besetzt hätten, den Rest hatten wir als Gruppe der FDP angeboten, um die Ebenbildlichkeit des Wahlergebnisses in den Ausschüssen zu sichern. Die FDP hat diese Sitze nach einer langen Phase der Überlegungen ab-gelehnt, obwohl keine Konditionen daran geknüpft waren.

Die neuen Sitze würden nach dem D’Hondt-Verfahren allerdings auch Zusammen-arbeiten möglich machen, die Bündnisse der SPD und der CDU überstimmen könn-ten, und das gefällt beiden nicht. Die Ratsmitglieder der SPD und gewiss auch der CDU, die sich zu diesem Antrag melden werden, werden eine Geschichte davon er-zählen, aus welchen Gründen sie auf einmal doch für Hare-Niemeyer eintreten, viel-leicht auch behaupten, es schon immer getan zu haben, sich aber nur missver-ständlich ausgedrückt zu haben – in Reden und Stimmverhalten. Dieser Antrag ver-schiebt aber die Gewichtungen der Stimmrechte nach unserer Gruppengründung wieder zugunsten der sogenannten Volksparteien.

Warum also sollten wir den Antrag dennoch nicht ablehnen, wenn doch möglicherweise ein Machtspiel dahintersteht? Die SPD weiß, dass sie sich bei denjenigen Gruppen im Rat, die wirklich an die pluralistische Demokratie glauben, auf die In-tegrität und Konsequenz verlassen kann, dass sie ihre Stimmen gemäß den eige-nen Prinzipien für den Antrag abgeben werden, obwohl es ein Antrag aus Eigenin-teresse am Vorteilsgewinn ist. Dieselben Gruppen dürfen aus dem Verhalten der SPD in dieser Sache allerdings die Lektion ziehen, dass dieselbe Treue gegenüber den eigenen Überzeugungen von der SPD nur dann zu erwarten ist, wenn sich im Sinne der eigenen Macht profitabel ist.

Es ist aber vor allem der Umgang mit der Demokratie, den ich hier rügen will. Das-selbe Bekenntnis zur pluralistischen Demokratie, dass die SPD heute mit diesem Antrag einfordern will, haben die Anwesenden der SPD und der CDU in der Ratssit-zung im November öffentlich abgelehnt. Es werden sich heute bei der SPD-Fraktion dieselben Hände für eine Wiedereinführung des Hare-Niemeyer-Verfahrens he-ben, die noch im November eifrig für D’Hondt aufgezeigt haben. Dennoch werde auch ich gleich meine Stimme für diesen Antrag abgeben, trotz der Umstände, un-ter denen er gestellt wurde, und zwar deswegen, weil es das richtige ist.

Die Demokratie und ihre Bedingungen sind keine Normen zum Machterhalt allein, sondern eigenständige Werte, die nicht missbraucht werden dürfen, und diesen Leitsatz haben leider manche in diesem Saal nicht begriffen. Heute möchte ich meine Rede allerdings tatsächlich mit Worten von Willy Brandt schließen:

„Der Staat, für den wir stehen, wird nicht das Instrument einiger weniger Mächtiger und Privilegierter sein, auch nicht der Spielball von Interessengruppen. Sondern die gemeinsame Einrichtung der Bürger.“ Ich hoffe, dass man in seiner Partei bald auch wieder in Göttingen daran glaubt. Vielen Dank